Český a slovenský zahraniční časopis  
     
 

Leden 2009


Deutsche und ihre tschechischen Anwälte

Erinnerungen an Emanuel Rádl und Přemysl Pitter

Wolf Oschlies

Rozhodli jsme se, že budeme občas zařazovat i články v jazycích střední Evropy a to bez překladu, protože na něj nejsou prostředky. Část čtenářů tento krok jistě ocení. Redakce CS-magazínu.

Seit Jahrhunderten leben Deutsche und Tschechen im böhmisch-mährischen Raum zusammen, aber kulturell steht eine chinesische Mauer zwischen ihnen, wußte der Literaturkritiker Pavel Eisner bereits 1935 in einem Rundfunkvortrag zu beklagen. Aber es gab auch erwähnenswerte Ausnahmen, wie einen Emanuel Rádl oder einen Přemysl Pitter, die sich um das deutsch-tschechische Verhältnis verdient machten.

Die Ursachen der wechselseitigen Aversion zwischen Tschechen und Deutschen hatte bereits 1921 Richard Coudenhove-Kalergi, Begründer der Pan-Europa-Idee, drastisch formuliert: „Die Deutschen treiben eine Politik der Starrköpfigkeit, die Tschechen eine des Ressentiments. Beide Völker leiden an dem engen Horizont ehemaliger österreichischer Provinzler.“

Kalergis Aufsatz wird in Tschechien oft nachgedruckt, jedoch ohne sein enthusiastisches Lob des Staatsgründers und ersten Präsidenten Tomáš G. Masaryk. Denn der Demokrat Masaryk war Urheber der Ideologie, „daß der Sinn des Tschechentums im Kampf gegen das Deutschtum liegt“ – „die Deutschen kamen als Emigranten und Kolonisten ins Land“, haben hier nichts zu suchen oder zu fordern.

Solche Auffassungen kritisierte das Buch „Válka Čechů s Němci“ (Der Krieg der Tschechen mit den Deutschen), das Emanuel Rádl 1928 veröffentlichte und im selben Jahr noch auch auf Deutsch erschien. Emanuel Rádl (1873–1942) gehörte als Biologe zur europäischen Forscherelite, wandte sich ab 1918 aber der Philosophie zu, die er im Sinne seiner christlich-pazifistischen Weltanschauung betrieb. Seine besondere „Sorge“ galt den Sudetendeutschen, die er noch 1935 aufforderte: „Wartet nicht auf fremde Führer, werdet selber Führer eures Volks.“

Rádls Buch war eine Abrechnung mit dem tschechischen Nationalismus und Masaryks Urteilen über Deutsche, die der Präsident später gern ungeschehen gemacht hätte. Im Grunde war er mit Rádl einig, daß Menschenrechte der Maßstab von Demokratie seien. Das von ihm geprägte Bild der Deutschen als „Landesfremde“ fand alltschechischen Beifall, wovor Rádls hellsichtig warnte. Die tschechische Politik gegenüber den 3,5 Millionen Deutschen im Land sei falsch und berge Konflikte: „Deutschland wird gewiß den Versailler Frieden korrigieren, und dagegen wird es weltweit keinen Protest geben. Österreich wird sich mit Deutschland vereinigen, der Danziger Korridor wird liquidiert, das Nationalitäten-Prinzip, mit welchem man gegen Deutschland kämpfte, wird zur Waffe in deutschen Händen“.

Anhänger und Schüler Rádls war der Prager Přemysl Pitter (1885–1976), den Tschechen bis heute so beharrlich ignorieren, wie die restliche Welt ihn ehrt, und dessen 100. Geburtstag die Unesco 1995 zum „Weltkulturjubiläum“ erklärte. 1933 hatte Pitter in Prag das „Milíč-Haus“ gebaut, eine Tagesstätte für arme Kinder, benannt nach einem Bußprediger aus dem 14. Jahrhundert. Viele Kinder sind oft und gern hierher gekommen, darunter auch Václav Havels erste Frau Olga. Als Böhmen und Mähren deutsches „Protektorat“ waren, blieben Pitter und das Haus weithin unbehelligt, obwohl die Gestapo wußte, daß hier auch jüdische Kinder verborgen und versorgt wurden.

Am 5. Mai 1945 brach in Prag ein Aufstand gegen die Deutschen aus. Der „Tschechische Nationalrat“, die neue oberste politische Macht, beauftragte Pitter, sich um jüdische Kinder im Ghetto Theresienstadt zu kümmern. Für deren Unterbringung hatte man ihm vier leerstehende Prager Schlösser überlassen, auch um sie vor weiterer Verwüstung durch russische Soldaten zu bewahren.

Ab Juli 1945 wagte Pitter ein wahrhaft einmaliges Experiment: Er brachte in seinen Schlössern jüdische, tschechische und deutsche Kinder zusammen. Pitters Einmaligkeit lag darin, daß er sich bewußt einer Welle des antideutschen Hasses entgegenstemmte, die ab Mai 1945 durch Böhmen und Mähren ging. Deutsche wurden in Lagern zusammen gepfercht, Exzessen und Lynchmorden ausgesetzt. Diese „wilde Vertreibung“ der Deutschen hatte die Regierung vielleicht nicht gewollt, ließ sie aber geschehen, was Pitter als „Kopie von SS-Methoden“ brandmarkte. Erst vor wenigen Jahren wagte der Tschechische Rundfunk eine Lesung aus seinen „Nachrichten aus dem Milíč-Haus“, in denen er anklagte: „Von 13 Lagern in Prag habe ich 10 gesehen. Ende Juli waren dort 10000 Männer und Frauen interniert und 1500 Kinder. Kinder und Erwachsene, Alte und Kranke, alle lagen dort durcheinander. Die Kindersterblichkeit ist groß, Säuglinge sterben ausnahmslos.“

Im Juli 1945 befreite Pitter erstmals 56 deutsche Kinder aus der „Hölle“ der Lager, später mehr. Von Mai 1945 bis Mai 1947 rettete Pitters „Aktion Schlösser“ 810 Kinder, darunter 266 jüdische und 407 deutsche aus tschechischen Internierungslagern. 2005 hat der Prager Regisseur Tomáš Škrdlant in einem Film dokumentiert, mit wie viel Liebe sich die damaligen Kinder bis heute an „Onkel Pitter“ erinnern.

Unter den Tschechen hat fast niemand Pitter geliebt, die 1948 zur Macht geputschten Kommunisten haben ihn gehaßt und im August 1951 zur Flucht getrieben. Mit seiner Schweizer Lebensgefährtin Olga Fierz (1900–1990) landete er in Nürnberg, wo er für den Weltkirchenrat in einem Flüchtlingslager tätig war. Später ging er in die Schweiz. An ihn erinnert seit ein paar Jahren das „Pitter-Archiv“ im Prager Comenius-Museum – auch an sein Credo: „Jede Doktrin, die die Vergöttlichung von Menschen, Völkern oder Staaten anstrebt, ist teuflisch und führt unbedingt ins Verderben. Auch in meinem Volk verbreitet sich dieser Ungeist und bringt schlimme Resultate. Solange ein Volk nicht die eigene Schuld bekennt und sühnt, gibt es keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft“.

Redakce CS-magazínu doporučuje:

Tomáš Pasák: Přemysl Pitter - Život pro druhé. Paseka, Praha/Litomyšl 1997 (v knize je také bibliografie prací Přemysla Pittra)

Pavel Kohn: Můj život nepatří mně - Čtení o Přemyslu Pittrovi. Nadace Přemysla Pittra a Olgy Fierzové v Kalichu, Praha 1995



Zpátky