Český a slovenský zahraniční časopis  
     
 

Březen 2009


Nationale Identität kontra Einheit des Staatsgebiets

Eugenie Trützschler-Fügner von Falkenstein

Die Schaffung eines kollektiven Bewusstsein erwies sich nach dem Ende des Weltkrieges in den neu entstandenen demokratischen Staaten im gesamten Europa als äußert schwierig. In den mittelosteuropäischen Nationalstaaten kam erschwerend hinzu, dass sie nicht auf eine gemeinsame Geschichte und damit Kultur, Tradition mit all ihren Merkmalen, zurückblicken konnten. Daher erwies sich die Bildung einer nationalen Identität einer tschechoslowakischen und einer jugoslawischen Nation in diesem Staate als besonders kompliziert. Neben den fehlenden Gemeinsamkeiten kam erschwerend hinzu, dass die zu diesen (zusammengesetzten) Nationen zählenden Nationen das Gefühl hatten, an der Gründung dieser Staaten nicht beteiligt worden zu sein bzw. unter anderen Voraussetzungen.

Konkret. Einige wenige Slowaken (die Elite) haben in den USA ohne die Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit die Gründung eines gemeinsamen Staates mit den Tschechen unter der Bedingung der Gleichberechtigung, d.h. auf der Basis von Föderalisierung des Staates beschlossen. Eine Volksabstimmung zu der gemeinsamen Verfassung wäre hier ein Weg gewesen, nicht nur die Slowaken, aber auch die anderen Nationen für diesen Staat zu gewinnen. Dies wäre auch in Jugoslawien und den anderen Staaten wünschenswert gewesen.

Statt jedoch eine Zustimmung zum gemeinsamen Staat zu suchen, waren die Eliten, deren Mitglieder von wenigen Ausnahmen abgesehen, zur staatstragenden Nation gehörten, bemüht, nach außen hin Einigkeit zu demonstrieren und nach innen die nationalen Wünsche der anderen im Staat lebenden Nationen, Minderheiten, ihren eigenen Interessen unterzuordnen. Diese Politik wurde von anderen Nationalstaaten so lange akzeptiert, so lange sie nicht den Eindruck bekamen, dass ihre eigenen Interessen berührt wurden. Das Münchner Abkommen vom 30. September 1938, durch das sowohl Großbritannien als auch Frankreich Deutschlands Interessen an Teilen der Tschechoslowakei unterstützten, ist nur ein Beispiel.

Slowakische Nation in der Tschechoslowakei

Trotz der nach außen hin demonstrierten Einheit der tschechoslowakischen Nation gab es bereits ein Jahr nach der Veröffentlichung der tschechoslowakischen Verfassung in der Slowakei Stimmen, die eine Föderalisierung des Landes, wie sie in der Cleveland-Deklaration aus dem Jahre 1915 vorgesehen worden war, verlangten. Der slowakische Jurist ungarischen Ursprungs, Professor für internationales Recht, Béla (Vojtech) Tuka, hatte 1921 einen Verfassungsentwurf vorgelegt Ausgehend von zwei Nationen, der tschechischen und der slowakischen, sollte der tschechoslowakische Staat aus einer nationalen Föderation von zwei selbstständigen Staaten mit eigenen Kompetenzen und eigenen Sprachen bestehen. (Hier beruft sich Tuka auf Artikel 7 des Vertrages von Saint Germain.) Im Einzelnen stellte Tuka folgende Kompetenzverteilung vor:

Paragraph 3 Die Einheit des Staates sollte durch einen gemeinsamen Präsidenten des Verbandes der tschechoslowakischen Republik gewahrt werden;

Paragraph 5 Beide Staaten sollten eigene Verfassungen und eine eigene Gesetzgebung auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts erhalten;

Paragraph 11 Der Präsident sollte routinemäßig einmal der tschechischen Nation, dann wieder der slowakischen angehören;

Paragraph 31 Der Präsident vertrat den Staat nach außen, schließt und ratifiziert internationale Verträge im Rahmen der ihm durch die einzelnen Verfassungen gegebenen Kompetenzen. Als oberster Befehlshaber der Armee ruft er den Kriegszustand und die Mobilisierung aus. In Bereichen, die im beiderseitigen Interesse sind, mussten Vereinbarungen geschlossen werden;

Paragraph 42 Zu den Kompetenzen des Präsidenten gehörten u. a. die auswärtigen Angelegenheiten des Militärs, Angelegenheiten des Kommunikationswesens, des Bank- und Finanzwesens, des Außenhandels, der Verwaltung, die Kompetenzen im Bereich des Justizwesens aber auch die Fragen der Versorgung.

Einige der hier geäußerten Forderungen, so die Errichtung von zwei unabhängigen Parlamenten, wurden dann im Jahre 1968 verwirklicht. Zum Zeitpunkt jedoch der Veröffentlichung dieses Entwurfes im Jahre 1921 waren die Vorstellungen von Professor Tuka für die Prager Zentralisten unannehmbar. Ihre ablehnende Haltung gegenüber diesen Forderungen führte in der Slowakei zur weiteren Radikalisierung.

Am 1. Januar 1928 veröffentlichte Tuka im Presseorgan "Slovák" - der Hlinka Partei wie die Ľudová strana (Volkspartei) auch genannt wurde - seine Überlegungen zum zehnjährigen Jubiläum der St. Martin-Deklaration. Er sprach von einer Geheimklausel, nach der zum 30. Oktober 1928 in der Slowakei ein "vacuum iuris" entstehen wird, welches den Slowaken ermöglichen wird, über eine neue staatsrechtliche Stellung zu entscheiden.

Die Verhaftung von Prof. Tuka, seine Verurteilung zum Tode wegen Hochverrat und Spionage (am 5.10.1929: Tuka wurde unterstellt, dass er für die Ungarn spionierte), dann die Begnadigung zur Gefängnisstrafe für 15 Jahre haben die Slowaken, die radikale Hlinka-Partei, aber auch die an der Regierung in Prag beteiligten, umso mehr in ihren autonomen Forderungen bestätigt. Die Entwürfe einer föderalen Strukturierung der Tschechoslowakei, die der slowakische Politiker Milan Hodža in seiner Funktion als Ministerpräsident im Jahr 1937 der Regierung vorgelegt hatte, wurden nicht nur von der tschechischen ministeriellen Bürokratie, sondern vor allem von Beneš abgelehnt. Der Präsident ging sogar so weit er später im Briefwechsel mit Hožda die Existenz eines solchen Entwurfs verneint.

Tuka, der auf Druck der Westmächte im Jahre 1937 vorzeitig entlassen wurde, suchte für seine nationalen und autonomen Forderungen bei Hitler Unterstützung. Die Ausrufung des föderalen Staates erfolgte dann nach der Besetzung des Sudetenlandes durch die deutschen Truppen.

Nach der Unterzeichnung des Münchner Abkommens begann die Führung der Slowakischen Volkspartei an andere Verbindungsmöglichkeiten zu denken. Obwohl die meisten dieser Vorschläge rein theoretischer Natur waren, wurden einige von ihnen als durchaus realisierbar angesehen. So der Vorschlag einer Tschechisch-slowakisch-polnischen Union, die auch Beneš als durchaus möglich erschien. Im Einzelnen wurden insgesamt sieben Möglichkeiten diskutiert:

a) Verbleib in der Republik, welche ein neutraler und föderalistischer Verband werden sollte,

b) Gründung eines tschechisch-slowakisch-polnischen Dreierstaates,

c) Polnisch-slowakische Union,

d) Tschechisch-slowakisch-ungarischer Dreierstaat,

e) Ungarisch-slowakische Union,

f) Staat im Rahmen des Gesamtstaates Deutschland,

g) selbständige Slowakei unter einem deutschen Protektorat oder in Neutralität mit einer Garantie der Großmächte.

Im Juni 1938 veröffentlichte die Slowakische Volkspartei zum 20-jährigen Jubiläum des Pittsburgher Vertrages einen neuen Autonomie-Vorschlag, der auf dem bereits 1937 von Hodža vorgelegten basierte. Beneš versprach den Vertretern der Slowakischen Volkspartei administrative und personelle Zugeständnisse. Anders als früher gaben sich die Slowaken mit Beneš's Versprechungen nicht zufrieden. Dadurch wurde die letzte Möglichkeit der Lösung der slowakischen Frage durch die Regierung in Prag versäumt.

Die Führung der Slowakischen Volkspartei wollte in einer föderativen Republik im Sinne der der Vereinbarung von Cleveland mit den Tschechen verbleiben. Dies ging aus ihrem Manifest, das sie am 7. Oktober 1938 in Žilina veröffentlichte, hervor. In diesem verlangte sie das Selbstbestimmungsrecht für die Slowakei und stellte sich an die Seite der Völker, die gegen die "marxistisch- jüdische Ideologie" kämpften.

Unter dem Schock des gerade zwischen den Vertreter Englands, Frankreichs, Italiens und Deutschlands am 29. September 1938 unterzeichneten Münchner Abkommen über territoriale Verzichte der Tschechoslowakei war die Regierung in Prag schon einen Tag nach der Verkündung des Manifestes von Žilina bereit, den Slowaken Autonomie sowie die Bildung einer Slowakischen Regierung unter der Führung von Dr. Tiso zuzugestehen. Parallel wurde auch die Karpatenukraine für autonom erklärt. Trotz dieser beiden Verfassungsgesetze blieb die tschechoslowakische Verfassung formell in Kraft. Aufgrund dieser beiden Verfassungsgesetze sollten auch Änderungen der gesamtstaatlichen Verfassung, die eine weitgehende Mitbeteiligung der Regierungen der Slowakei und der Karpatenukraine an den Entscheidungen vorsahen, beschlossen werden. Die Änderungen sollte die Regierung vornehmen, die durch ein Ermächtigungsgesetz hierzu beauftragt wurde. Obwohl das gesamtstaatliche Parlament, das dieses beschlossen hatte, in der Folgezeit nicht mehr zusammentrat, hat auf der Grundlage dieses Ermächtigungsgesetzes die Regierung des Protektorats Böhmen und Mähren ihre Verordnungen bis zum Dezember 1940 erlassen.

Durch die Entwicklung der folgenden Monate steigerte sich das Interesse der Nachbarstaaten der Slowakei an diesem Land. Die Trennung der Slowakei von Böhmen war nur noch eine Frage der Zeit. So wirkte eine Einladung Tisos nach Berlin nicht überraschend. Nach einer Besprechung mit der Führung seiner Partei flog Tiso am 13. März 1939 nach Berlin. Bei der Besprechung mit dem damaligen Außenminister Ribbentrop und Hitler erfuhr Tiso, dass die ČSR liquidiert werden sollte. Hitler soll während des Gesprächs mit Tiso geäußert haben: "Entweder Selbständigkeit oder wir überlassen sie dem Schicksal." Tiso rief nach seiner Rückkehr, noch während der Zeit des ihm gestellten Ultimatums, die selbständige Slowakische Republik aus. Am 21. Juli 1939 verabschiedete das inzwischen selbständige slowakische Parlament eine eigene slowakische Verfassung. Tiso wurde Präsident, Tuka Ministerpräsident des neu gegründeten Staates.

Während in der Slowakei ein Staat mit Unterstützung Berlins entstand, veröffentlichten die slowakischen Exilpolitiker ein Memorandum, welches im Oktober 1939 in Paris für Beneš ausgearbeitet und von führenden slowakischen Politikern der Emigration, wie Milan Hodža und dem Kommunisten Clementis unterzeichnet wurde. Sie verlangten eine konsequente Föderalisierung des Staates.

Ihre Vorstellungen waren u.a. folgende: "Bildung einer Zentralregierung, welche aus dem Außenministerium, dem Verteidigungsministerium, dem Verkehrs- und dem Finanzministerium bestehen sollte. Unter Umständen sollte dieser Zentralregierung das Ministerium für wirtschaftlichen Wiederaufbau angegliedert werden. Andere Bereiche, insbesondere die Gesetzgebung und die Allgemeine Verwaltung, sollten in den Kompetenzbereich der einzelnen Landtage und der Regierung fallen, so namentlich die Gebiete des Inneren (im engeren Sinne), der Öffentlichkeitsarbeit, der Sozialpolitik und des Handels.

Autonome Karpatenukraine

Mit der Eingliederung der Karpatenukraine in den neu entstandenen Staat Tschechoslowakei auf der Grundlage der Verträge von St. Germain vom 10. September 1919 erhielt diese ein Gebiet, das bis zum Jahre 1918 zu Ungarn gehört hatte. Im Gegenzug verpflichtete sich die Tschechoslowakei diesem Gebiet weitreichende Autonomie zu gewähren. Das autonome Gebiet Karpatenukraine hat ein eigens Parlament erhalten, aus dessen Mitte ein Präsidium gewählt wird. Zu den Kompetenzen der Karpatenukraine gehörte nach der Verfassung von 1921 Sprachenfrage, Unterricht, Religion, örtliche Selbstverwaltung und die ihnen durch die Gesetzte der Tschechoslowakischen Republik übertragenen.

Die Tatsache, dass Karpatenukraine nach der Verfassung in den tschechischen Parlamenten entsprechend proportional vertreten ist, kann als ein Beweis angesehen werden, dass man dieses Gebiet in den einheitlichen Staat eingliedert betrachtet.

Wie wenig Autonomie die Karpatenukraine tatsächlicher erhielt, zeigt die Tatsache, dass der Gouverneur des autonomen Gebietes, zwar dem Parlament der Karpatenukraine gegenüber verantwortlich ist, aber vom Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik auf Vorschlag der Regierung ernannt wird. Aber nicht einmal die in der Tschechoslowakischen Verfassung und im Vertrag von St. Germain vorgesehene Autonomie wird der Karpatenukraine ohne weiteres zugestanden. Im Jahre 1929 wird in der wissenschaftlichen Literatur festgestellt, dass die Autonomie der Karpatenukraine wegen des "zu niedrigen kulturellen Niveaus", nicht umgesetzt werden konnte. Das "kulturelle Niveau" hat die Karpatenukraine erst nach der Unterzeichnung des Münchner Abkommens offensichtlich erreicht. Mit dem Verfassungsgesetz vom 22. November 1938 wurde der Karpatenukraine die gleiche Autonomie wie der Slowakei zugestanden. Die Ereignisse der kommenden Monate haben dazu geführt, dass zwar eine Regierung, aber kein Parlament gebildet worden ist, während der südliche Teil der Karpatenukraine bereits seit dem 2. November 1938 durch die so genannte Wiener Arbitrage zu Ungarn gehörte, wurde der restliche Teil nach dem 15. März 1939 in Ungarn eingegliedert.

Die verfassungsmäßige Zugehörigkeit zur Tschechoslowakischen Republik wurde erst durch das Verfassungsgesetz aus dem Jahr 1946 aufgehoben und dieses Gebiet der UdSSR eingegliedert.

(Trützschler, Eugenie von Falkenstein: Mittelosteuropa - Nationen, Staaten, Regionen. Schriften zum Staats- und Völkerrecht. Peter Lang, Frankfurt am Main 2005)



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