Říjen 2009 Zwei persönliche Sichtweisen der sudetendeutsch-tschechischen BeziehungenAdolf HampelIn meiner Umgebung mache ich mich wegen meiner hartnäckigen Beschäftigung mit den sudetendeutsch–tschechischen Beziehungen zusehends unbeliebt. Wenn sich überhaupt jemand für mein Anliegen interessiert, bekomme ich zu hören, dass ich auf verlorenem Posten stehe und zu den letzten Mohikanern gehöre. Oft werde ich mit einer Flut bedenkenswerter Einwände überschüttet. Ich müsse doch einsehen, dass die Mehrheit der Tschechen froh ist, die Deutschen losgeworden zu sein. Sie sind dafür Edvard Beneš heute noch dankbar. So lasst sie doch in Ruhe. Die deutschen Regierungen haben seit Schröder-Fischer das Sudetenproblem längst abgehakt. Für die Länder der EU ist es nur noch ein geschichtlicher Fall, wobei die tschechische Interpretation vorherrscht. Allein Österreich und Ungarn erwähnen noch gelegentlich die Beneš-Dekrete. Angesichts der heutigen Weltprobleme sind die sudetendeutsch-tschechischen Beziehungen nicht einmal eine Fußnote wert. Für den Frieden in Europa sind sie – anders als 1938 - ziemlich belanglos. Die wirtschaftlichen Beziehungen entwickeln sich sehr gut. Alles andere hat für die politisch-wirtschaftliche Führungsschicht keine Bedeutung. Es fällt mir immer schwerer, diese Einwände zu widerlegen. Allen Einsichten zum Trotz werde ich meine Einstellung nicht ändern können. Es sind vor allem zwei Motive, die mir eine indifferente Haltung verbieten: Persönliche Erfahrungen mit Tschechen Mit Ausnahme von sieben Jahren, in denen ich kein tschechoslowakisches Einreisevisum bekommen konnte, besuchte ich seit 1966 jährlich das Land meiner Herkunft. Seit 1946 hatte sich eine Heimatnostalgie aufgeladen, die sich erst nach 20 Jahren bei einem ersten Besuch entladen konnte. Die Bekanntschaft und bald die Freundschaft mit Dr. Pavel Bergmann, einem Auschwitzüberlebenden und Zeugen beim Frankfurter Auschwitzprozess, mutierte die Heimatnostalgie zur Solidarität mit den unter der kommunistischen Diktatur leidenden tschechischen Demokraten, vor allem mit den verfolgten tschechischen Katholiken. Die im KZ gesammelten konspirativen Erfahrungen und die Risikobereitschaft Bergmanns entmythologisierten für mich die Unantastbarkeit des totalitären Regimes. Der Jude Bergmann sah in der katholischen Kirche die bedeutendste antitotalitäre Kraft der tschechischen Gesellschaft. Deshalb ermunterte er uns zu einer möglichst breiten Kontaktaufnahme mit unseren Glaubensbrüdern. Besuche bei internierten Bischöfen und amtsbehinderten Priestern erregten bei sudetendeutschen Landsleuten gleichzeitig Verwunderung und Misstrauen. Sie konnten nicht glauben, dass ein sudetendeutscher Theologe verfolgte tschechische Kollegen in einem totalitären Regime besuchen konnte. Es kam auch das Gerücht auf, ich sei ein Doppelagent. Selbst die stets versöhnungsbereiten Freunde der Ackermann-Gemeinde, deren Mitglied ich seit 1950 bin, äußerten Skepsis. Die Dankbarkeit und das Vertrauen tschechischer Priester und Laien ließen mich das Misstrauen und die Verdächtigungen kleinkarierter Bedenkenträger geringachten. Zum Glück traf ich sehr früh in Rudolf Grulich, einem meiner Königsteiner Studenten, einen gleichgesinnten Gefährten, der bereit war, alle Reisen und Risiken mitzutragen. Unsere gemeinsame Slawophilie, die sich nicht auf die Tschechen beschränkte, trug uns bei Kroaten und Slowenen den Ehrentitel „Kyrill und Method“ ein. Unsere Umtriebigkeit in der CSSR konnten wir nur dank der Beratung mit Pavel Bergmann jahrelang fortführen. Als Auschwitzhäftling hatte er auch Bekannte in den Machtstrukturen. Von ihnen erfuhr er, dass ich von der Staatssicherheit als „gemäßigter Revanchist“ geführt werde. Als Sudetendeutscher war ich „Revanchist“ durch Geburt. Das Attribut „gemäßigt“ verdiente ich mir wohl durch meine slawophile Einstellung. Unsere leidenschaftliche Lust, gegen das kommunistische Regime zu konspirieren versuchten wir, auch in das Kräfteringen des Kalten Krieges einzuordnen. Für den Zusammenhalt des Sowjetimperiums spielte die propagierte Angst vor dem deutschen „Revanchismus“ eine entscheidende Rolle. Es musste deshalb unser Ziel sein, unseren östlichen Nachbarn, vor allen Polen und Tschechen, diese Angst zu nehmen. Ohne das Vertreibungsproblem zu vermeiden, waren wir bemüht, das gemeinsame Interesse, Schwächung der Sowjetmacht, zu betonen. Unsere tschechischen Partner von der Charta 77, mit denen wir auch über die Vertreibung diskutierten, waren mit uns der Überzeugung, dass Vertreibungen , auch die erfolgten, nicht als legitimes Mittel der Politik gelten dürfen. Unsere Enttäuschung war groß, als das demokratisch gewählte tschechische Parlament einstimmig die Vertreibungsdekrete von Beneš bestätigte. Wo waren da unsere Freunde der Charta 77, wo blieb der Protest der tschechischen katholischen Kirche? Wo waren die tschechischen Menschenrechtler, wenn es sie heute noch gibt? Oder waren die einstigen Dissidenten nur an den Rechten der eigenen Nation interessiert, sodass ihnen die Verbrechen an den Sudetendeutschen gleichgültig waren? Wissen sie nicht, dass diese Dekrete die Enteignung, Entrechtung und die Vertreibung von Millionen alteingesessener Mitbürger beinhalten und die Ermordung zehntausender unschuldiger Menschen für straffrei erklären? Auch die große Enttäuschung konnte meine Verbundenheit mit den böhmischen Ländern nicht löschen. Unter den vielen Freunden, die mich die Hoffnung auf eine bessere tschechische Politik nicht aufgeben lassen, möchte ich nur einige nennen. Dana Němcová, die unerschrockene „Mutter der Charta 77“; Rudolf Battěk, der leidgeprüfte Vorsitzende der verbotenen Sozialdemokraten; der unbestechliche Jan Sokol, dem ich für die Festrede an der Universität Gießen zu meinem 60. Geburtstag dankbar bin; den mutigen kleinen Priester Václav Malý, nunmehr Weihbischof von Prag. Hervorheben möchte ich die Familie Pasirbek aus Vyšní Lhoty bei Frýdek-Místek, aus der der Verwalter unseres enteigneten Hofes kam. Mutter Pasirbek wollte den jungen Zdeněk die Beteiligung am „Raub eines deutschen Hofes“, wie sie es ausdrückte, verbieten. Nur unsere Bitten konnten sie bewegen, Zdeněk bei uns zu lassen. Noch 20 Jahre später entschuldigte sie sich bei einem Besuch in Vyšní Lhoty für das uns angetanene Unrecht. Neben den vielen Freunden und den erfreulichen Erfahrungen verbindet mich mit diesem Land ein noch erhaltener Grabstein der Familie Hampel auf dem Friedhof von Klein-Herrlitz/Malé Heraltice. Die Selbstachtung und der Verfall der politischen Moral. Die Selbstachtung einer ganzen Volksgruppe und jedes Einzelnen lassen eine Versöhnung mit der Politik des tschechischen Staates als unmöglich erscheinen. Enteignung, Entrechtung und Vertreibung sind Sanktionen, die nach allgemeinem Rechtsempfinden nur für schwere Verbrechen verhängt werden dürfen. Die Tschechoslowakei hat die Sudetendeutschen diesen Sanktionen unterworfen. Auch heute hält sie diese Sanktionen für gerecht. Damit hält die tschechische Regierung die Sudetendeutschen, d.h. auch meine Eltern, für Verbrecher, die diese Strafen verdient haben. Sie verbreitet diese Auffassung in den Geschichtsbüchern und handelt in der Innen- und Außenpolitik danach. Bisher sehe ich keine ernst zu nehmenden Signale für eine Änderung dieser Einstellung. Deshalb muß ich die bisherigen Versöhnungsbemühungen für gescheitert betrachten. Die Nachrichten, dass Benedikt XVI. bei seinem bevorstehenden Besuch der Tschechischen Republik seine deutsche Muttersprache nicht verwenden soll, bestätigt diese Einschätzung. Für die Angst vor der deutschen Sprache kann es zwei Gründe geben: 1. Die Erinnerung an das deutsche nationalsozialistische Regime. 2. Die Erinnerung an die 3,5 Millionen sudetendeutscher Mitbürger, an denen die Tschechoslowakei Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat. Es wäre sehr erfreulich, wenn die tschechische Gesellschaft diesen Fakten gegenüber ihr Gewissen in Anspruch nehmen würde. Dass die tschechische katholische Kirche nach Jahrzehnten der tätigen Hilfe durch deutsche Katholiken nicht mehr Rückgrat beweist, ist wirklich entmutigend. Glaubt sie durch Opportunismus ihren Stellenwert in der tschechischen Gesellschaft verbessern zu können? Eine ehrliche Auseinandersetzung kann viel eher zu einer Verständigung führen als eine vorgetäuschte Versöhnung. Wenn die EU es duldet, dass Mitgliedstaaten Massenvertreibungen als legitim und gerecht betrachten dürfen, ist dem Verfall der politischen Moral Tür und Tor geöffnet. Zpátky |