Český a slovenský zahraniční časopis  
     
 

Leden 2010


Verschwiegene Geschichte

Ernst Korn

Tomáš Krystlík: Verschwiegene Geschichte. Band I. Pädagogischer Arbeitskreis für Mittel- und Osteuropa, Heimatkreis Mies-Pilsen e. V., Sudetenpost, Dinkelsbühl, Linz 2009, ISBN 978-3-9812414-3-3

Der Titel des Werkes weist auf eine Tatsache hin, die zwar allerorten offenkundig sein müsste, sich aber meist verschämt hinter dem Schleier der Opportunität verbirgt. Und Berufene, die als Historiker, Journalisten, Lehrer, ja selbst Politiker offene oder versteckte Unwahrheiten über geschichtliche Ereignisse um der zutreffenden Unterrichtung der Bürger willen aufdecken sollten, verharren in der lobby-geschützten Verschwiegenheit der political correctness. Dabei müssten sie doch aus Gründen der Ehrlichkeit, eben der Wahrheit zuliebe, Falschaussagen anprangern.

Denn: „Helfen kann beim Umgang mit der Geschichte nur die ungeschminkte Wahrheit" (R. Herzog). Und:

„Wer zu den Quellen will, muss gegen den Strom schwimmen, nur so kann er sich von der verordneten geschichtlichen Amnesie befreien." (G. Radnitzky, „Das verdammte 20. Jahrhundert").

Dies gilt natürlich auch und vor allem für die tschechische Geschichtsschreibung. Es ist unerfindlich, wie selbst tschechische Kirchenleute oder die Intelligenz, auch ein besonnener, sich christlich-abendländisch geprägt dünkender Teil der Bevölkerung bis heute mit amtlicher Geschichtsklitterung sich abzufinden geneigt ist. Warum gab es bislang nur so wenige Stimmen aus den Reihen derer, die sich als Nachfahren des heiligen Wenzel oder eines Comenius verstehen und der Humanität verpflichtet fühlen, versuchten, historische Vorgänge wie die Entrechtung, Demütigung und Vertreibung der Deutschen literarisch zu dokumentieren. Gar Bußfertigkeit von der eigenen Regierung zu verlangen, hat noch niemand aus ihrer Gesellschaft gewagt.

Es mag im „Land der Wenzelskrone" von einst Tradition haben, sich eher an eifrig geschmiedete Mythen zu halten, denn an die historische Realität. Mit ihrer Hilfe und unterstützt durch Gelder diffuser Herkunft an ausländische Medien konnte sich offenbar die tschechische Staatspropaganda immer wieder Gehör und Wohlwollen verschaffen und einer verfälschten Geschichtsschreibung Verbreitung sichern. Eine Umkehr sei nach aller Erfahrung nicht zu erwarten. Selbst unerbittlich versöhnungswillige Sudetendeutsche sind sich nicht mehr so sicher, ob sie mir ihrem Flehen nach „Gesten", nach vorbehaltlosen Gesprächen nicht lediglich Nebelkerzen in die politische Phalanx tschechischer Überheblichkeit schicken. Was sollte auch für diese Leute schon von der Ablehnung jeden Entgegenkommens abhängen? Sie sind doch auch so trotz aller Entschließungen und verbalen Barrieren ohne das geringste Zugeständnis an die von ihnen entrechteten und dem Genozid überantworteten Vertriebenen mit offenen Armen in die EU„Wertegemeinschaft" aufgenommen worden.

Die „Verschwiegene Geschichte" Tomáš Krystlíks bedeutet angesichts solchen Umfelds eine Offenbarung. Die einleitende Aussage des Autors muss die Leser jenseits des Böhmerwaldes schockieren, wird aber zum Brennpunkt und Strahlungskern des Werkes:

„Die tschechische Historiographie dient seit 1918 den Bedürfnissen des tschechischen Nationalstaates, unangenehme Fakten werden verschwiegen oder verdreht. So ist es bis heute."

Krystlík verwahrt sich nachdrücklich gegen die Mythen zur tschechischen Geschichte und der Entwicklung tschechischer Staatlichkeit. Da muss es schon revolutionär anmuten, wenn dazu auf Emil Háchas These aufmerksam gemacht wird, nach der die tschechische Misere sich auf den Zerfall der k. u. k. Monarchie gründet. Die Ränkespiele führender tschechischer Politiker bei der Gründung der ČSR nach den sog. Friedensverhandlungen von 1918 mag einen britischen Historiker veranlasst haben, jenes Staatsgebilde als „Kind der Propaganda" zu apostrophieren.

In schonungsloser Offenheit werden die Art jener Agitation, ihre Taschenspielertricks, die Politik der Verleumdungen und des Verschweigens der wahren Tatsachen offen gelegt. Dabei wird auch der im Exil lebende vermeintlich große Humanist Thomas Masaryk wegen seiner Verbindung zu serbischen Nationalisten und panslawistischen Kräften, die er bereits zu Beginn des Weltbrandes von 1914 pflegte, seiner Gloriole entledigt. Die aus sicherem Exil betriebene Spionagetätigkeit für Frankreich des Masaryk-Nachfolgers Edvard Beneš und seiner Helfer sollte dem „Erreichen der tschechoslowakischen nationalen Ziele" dienen.

Krystlík schildert überzeugend das Versagen der tschechischen Legion, ihre Plünderungen in Sibirien, ihren Verrat an den Weißen während des Bürgerkriegs. Berechtigte Kritik erfährt der Mythos der ČSR als „Insel der Demokratie", die sich um die Rechte der 50% Minderheiten nicht scherte, was sich in zahlreichen demütigenden Gesetzen und Schikanen manifestierte. Vor allem mit dem „Gesetz zum Schutz der Republik" von 1923 war der Staat zur Formaldemokratie abgesunken.

Das Buch geißelt das Fehlen jeden guten Willens zu friedensfördernden Einrichtungen, die hätten beitragen können, einen folgenschweren Weltbrand zu verhindern. Es entmythologisiert tschechische Thesen über „München", erläutert dessen Hintergründe und vor allem den Anteil der tschechischen Politik an dem Geschehen. Es prangert die untaugliche Strategie der Staatsführung ebenso an wie die Verfälschungen der Abläufe durch tschechische Polit-Historiker.

Der Autor erkennt die sog. zweite Republik vom September 1938 bis März 1939 als Etappe, über die man lieber schweigt und nennt als einen der Gründe den offenbar betrüblichen Rechtszustand. Krystlík bemüht sich auch um Versachlichung der Aussagen um das Attentat auf Heydrich, um Lidice sowie um den sog. Widerstand im Protektorat, die „Machtergreifung" Beneš', seine Willfährigkeit gegenüber Moskau oder den slowakischen Nationalaufstand. Für ihn war die damalige Republik ein nationalsozialistischer Staat. Schließlich wird der Mythos über 1968 entschleiert, als es der UdSSR gelang, mit der Stationierung ihrer Truppen in der ČSSR die kommunistische Herrschaft zu festigen.

Freilich wird der Historiker Krystlík von politisch Korrekten, welche die Verbrechen eigener Landsleute nur zu beschönigen gelernt haben, angegriffen, denn:

„Wer die Wahrheit geigt, dem schlägt man die Geige an den Kopf" (altdeutsche Spruchweisheit).

Er wird nicht nur mit gehässiger Kritik bedacht, sondern erhält auch Drohbriefe. Er muss offensichtlich das tschechische Geschichtsverständnis erschüttert haben. Umso höher ist sein Freimut anzuerkennen und der Wille zur historischen Wahrheit.



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