Český a slovenský zahraniční časopis  
     
 

Březen 2010


Das einst Undenkbare ist in Oberschlesien nun Alltag

Thomas Urban

1989 wurde die deutsche Minderheit in Polen anerkannt - es gibt sogar zweisprachige Ortsschilder.

„Am Anfang war große Angst", mit dieser Schlagzeile wartet die aktuelle Ausgabe des Schlesischen Wochenblatts auf, der zweisprachigen Zeitung der deutschen Minderheit in Polen. Der Anfang - das war die Zeit, als die Deutschen in Polen begannen, sich zu organisieren. Im Juli des Wendejahres 1989, also einen Monat nach den ersten freien Wahlen in dem Land, beantragten sie ihre Anerkennung als nationale Minderheit. Die Behörden, damals noch unter kommunistischer Kontrolle, warteten aber erst einmal die Entwicklung in Warschau ab.

Als Ende 1989 offensichtlich geworden war, dass das Parteiregime zusammengebrochen war, kam auch für die Minderheit die Zeitenwende: Am 23. Januar 1990 registrierte das Bezirksgericht von Tschenstochau die „Sozialkulturelle Gesellschaft der deutschstämmigen Bevölkerung" der Kleinstadt Olesno, die auf Deutsch Rosenberg heißt.

Es hatte den fünfzehn Unterzeichnern des Zulassungsantrags einiges an Mut abverlangt, denn die Behörden hatten bislang stets überaus nervös auf alles reagiert, was an die deutsche Vergangenheit der Gebiete östlich von Oder und Neiße erinnerte. Dabei waren mehrere hunderttausend Reichsbürger in Oberschlesien zurückgeblieben. Neben Fachkräften in der Industrie, die nicht ausreisen durften, handelte es sich vor allem um Menschen auf dem Lande, die Haus und Hof nicht aufgeben wollten. Sie hofften, dass die „polnische Verwaltung" - so war es im Potsdamer Protokoll formuliert - nur vorübergehend sei.

Die kommunistische Führung in Warschau aber betrachtete die Oder-Neiße-Gebiete von Anfang an als polnisches Territorium. Wer die neuen Verhältnisse nicht anerkennen wollte, kam in Arbeitslager. So mussten Zehntausende Einwohner Oberschlesiens in den ersten Nachkriegsjahren Zwangsarbeit leisten.

Der Druck der Geheimpolizei in Oberschlesien ließ auch nicht nach, als die innenpolitische Situation sich im ganzen Land vorübergehend entspannte. Um das Problem der Deutschen im Lande zu lösen, ließ Warschau sie seit Mitte der siebziger Jahre in Massen in die Bundesrepublik ausreisen. Bonn gab als Gegenleistung für die Spätaussiedler Milliardenkredite. Im Zuge der großen Ausreisewelle kamen auch die deutschstämmigen Familien Klose und Podolski, deren Söhne in der Bundesrepublik Fußballstars wurden.

„Miroslav Klose und Lukas Podolski, das sind welche von uns!" ist überall im Ostteil der Woiwodschaft (Regierungsbezirk) Oppeln zu hören, wo die Minderheit in zweieinhalb Dutzend Gemeinden seit den ersten freien Kommunalwahlen 1990 ununterbrochen die Bürgermeister stellt. Josef Klose, der Vater des Nationalspielers, der selbst in der obersten polnischen Liga spielte, verhehlt nicht, dass er vor allem wegen des politischen Drucks ausgereist ist. Als sich die ersten Mutigen unter den Zurückgebliebenen Ende der achtziger Jahre organisierten, war allerdings der kommunistische Geheimdienst dabei. Einer der fünfzehn Unterzeichner des Antrags aus Olesno/Rosenberg wurde später als Informant der polnischen Stasi SB bloßgestellt.

Dies alles hat die ältere Generation der Deutschen in Oberschlesien, der der öffentliche Gebrauch des Deutschen in kommunistischen Zeiten bei Strafe verboten war, sehr wohl im Gedächtnis behalten. Viele der Älteren misstrauen auch heute noch den Reden der Politiker sowohl in Berlin als auch in Warschau, die die Entwicklung der deutschen Minderheit als große Erfolgsgeschichte loben. Es ist nicht in Vergessenheit geraten, dass die 1992 für genau sechs Monate amtierende Regierung aus rechten Solidarność-Gruppen in einem Geheimbericht die Minderheit als Sicherheitsrisiko für die Republik Polen einstufte. Der zuständige Innenminister war damals Antoni Macierewicz, der anderthalb Jahrzehnte später unter den Kaczyński Zwillingen als Geheimdienstkoordinator vorübergehend auf eine Schlüsselposition zurückkehrte.

Doch gab es im vergangenen Jahr in der Führung der Minderheit einen Generationswechsel. Den Dachverband führt nun der 51 Jahre alte studierte Theologe Bernhard Gaida, den Oppelner Regionalverband der 37-jährige Germanist Norbert Rasch. Wie auch ihre Vorgänger unterstreichen sie bei jeder Gelegenheit die Loyalität der Minderheit zum polnischen Staat, doch setzen sie andere Schwerpunkte.

„Kultur, Kultur, Kultur", so nennt Gaida die jetzige Ausrichtung kurz. Im Mittelpunkt soll die Förderung der deutschen Sprache stehen, nach wie vor wird auf vielen Versammlungen im Oppelner Schlesien mehr Polnisch als Deutsch gesprochen. Angestrebt wird auch der Aufbau eines zweisprachigen Gymnasiums in jeder Kreisstadt in der Heimatregion der zurückgebliebenen Deutschen.

Die polnischen Regionalbehörden unterstützen diese Projekte. Die Politiker in Oberschlesien haben schon längst das gegenseitige Misstrauen überwunden, das Anfang der neunziger Jahre das Klima im Oppelner Land bestimmte. Den Durchbruch brachte das Jahr 1998. Der damalige Premier Jerzy Buzek, heute Präsident des Europa-Parlaments, hatte eine Verwaltungsreform angekündigt, bei der die Woiwodschaft Oppeln an das oberschlesische Industriegebiet um Kattowitz angeschlossen werden sollte. Dies wollte aber auch die polnische Mehrheit in Oppeln nicht, denn der Bezirk hatte bislang von Millionengaben aus Bonn profitiert. Um die Spannungen um die Minderheit zu entschärfen, hat Bonn nämlich damals Infrastrukturprojekte mitfinanziert - Kanalisationen, Umgehungsstraßen, Schulgebäude, Krankenhäuser -, die allen Menschen in der Region zugute kommen sollten.

Diese Politik ist aufgegangen. Vertreter aller polnischen Parteien aus Oppeln organisierten gemeinsam mit der Minderheit eine Großkundgebung vor dem Amtssitz Buzeks für den Erhalt der Woiwodschaft. Der Premierminister lenkte schließlich ein. Seitdem sind keine gewichtigen Konflikte mehr zwischen Minderheit und Mehrheit in Oberschlesien verzeichnet worden. Und es ist auch in mehreren Dutzend Ortschaften Realität geworden, was vor genau zwei Jahrzehnten als irreale Utopie gegolten hätte: Es gibt zweisprachige Straßen- und Ortsschilder.

(Süddeutsche Zeitung)



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