Český a slovenský zahraniční časopis  
     
 

Květen 2010


Josef Jungmann

Mathilde Najdek

In unmittelbarer Nachbarschaft des Wenzelsplatzes und somit des Wenzelsdenkmals findet man in Prag ein weiteres Denkmal, und zwar auf dem Jungmannplatz, es ist das Denkmal Josef Jungmanns. Wem haben die Tschechen die große Ehre erwiesen, mitten im Zentrum einen Platz, eine Straße und ein großartiges Denkmal zu haben, wo doch Palacký, der „Vater der Nation“, zwar noch in der Innenstadt, aber doch ein erhebliches Stück weiter weg vom Zentrum steht (eigentlich sitzt).

Es ist der am 16. Juli 1773 in Hudlice bei Beraun (Beroun) geborene Josef Jungmann. Sein Vater Tomáš (oder doch Thomas?) war Dorfschuster, der seinen Lebensunterhalt für seine 12 köpfige Familie neben der Schusterei durch ein Stück Feld und in der Kirche als Kirchendiener aufbesserte. Die Zeit, in die Josef hineingeboren wurde, war geprägt durch die Reformen von Maria-Theresia und Josef II. und hatte der Landbevölkerung wesentliche Veränderungen gebracht. Immerhin haben drei Söhne dieser Familie die Hochschule absolviert, von denen wiederum zwei eine tatsächlich außerordentliche Karriere gemacht haben, indem ihnen der Leopoldorden verliehen wurde, der es ihnen ermöglichte, in den Adel aufzusteigen. Josef Jungmann hat diese Möglichkeit zwar ausgeschlagen, aber sein Bruder ist Ritter geworden! So gesehen sieht das „alte böse Österreich, das so schrecklich undemokratisch war, für die Tschechen“ plötzlich ganz anders aus. Es war offensichtlich wirklich das „goldene Zeitalter“, das wir – die Zeitzeugengeneration – aus den Erzählungen unserer Großmütter kennen.

Josef Jungmann sagte über seine Herkunft als Tscheche Folgendes: „Meine Mutter nahm kein einziges deutsches Wort in den Mund“, die Quellen kommen aber nach verbalen halsbrecherischen Saltos nicht umhin einzugestehen, dass die Jungmanns ursprünglich doch Deutsche aus dem Umland von Dux (Duchcov) waren. Die nazistische Historiographie hat das herausgekramt (z. B. auch über František Ladislav Rieger) und auf die positiven Eigenschaften Jungmanns hingewiesen. Den „Patrioten“ der Wiedergeburtszeit war der deutsche Namen „Jungmann“ nicht geheuer, und sie gaben ihrem „geliebten tschechischen Patriarchen“ den slawischen Namen „Mladoň“, was in etwa Jüngling heißt. Jungmann selbst erzählte von sich eine Anekdote, wie er zum „Patrioten“ wurde – im Kreise seiner Familie war er beschämt, als eine seiner freien tschechischen Äußerungen misslang, und er von der Familie darauf hingewiesen worden sei, dass es seine Pflicht wäre, seine Muttersprache (Tschechisch) gut zu beherrschen. Die Wiedergeburtslektüre weiß dazu zu berichten: „Jungmann erlebte... wie Tausende tschechische Studenten in dieser Zeit ein peinliches psychisches Trauma, als er überzeugt wurde, dass seine Muttersprache Deutsch sein sollte. In dieser für ihn fremden Sprache war er gezwungen, häufig ohne überhaupt zu verstehen, wie ein Papagei Lektionen nachzuplappern. Diese frühen psychischen Konflikte führten bei Jungmann – wie bei vielen anderen – zu einem dauerhaften Widerwillen gegen das unnatürliche Sprachsystem im Schulwesen sowie in der Gesellschaft und zu einer leidenschaftlichen Zuneigung zum Tschechentum“. [Josef Kočí]

1799 ging Jungmann nach Abschluss seiner Studien als Gymnasiallehrer nach Leitmeritz (Litoměřice), wo er bis 1815 tätig war. Jungmann wurde sehr bald zum entschiedensten Russenfreund und „in seinen intimen Träumen entwickelte er panslawistische Utopien“. In der Realität ging er allerdings hauptsächlich von Dobrovský aus und beschäftigte sich mit der Sprache, er übersetzte aus verschiedenen Sprachen ins Tschechische und wurde sich offensichtlich der Mängel in der tschechischen Sprache bewusst und schuf, sich auf andere slawische Sprachen stützend, „neue tschechische Wörter“ (dabei hat er andere wiederum offensichtlich „vergessen“). Schließlich veröffentlichte er zwischen 1834-39 das erste fünfbändige tschechisch-deutsche Wörterbuch. Mit der Zeit entwickelte er ein vollkommen neues Programm für die tschechische Wiedergeburt im 19. Jahrhundert – um wieder mit der tschechischen Literatur zu sprechen – „Jungmann hat diese Forderungen (aus seinem Programm) nicht nur verkündet, sondern sein Leben lang mühevoll erfüllt“. Im gleichen Absatz heißt es: „Der unter der Maske eines unparteiischen Deutschen auftretende Jungmann erklärte seinen optimistischen Glauben an die Wiedergeburt des Volkes.“

Schließlich veröffentlichte er seine „Zwei Gespräche“ (Rozmlouvání), in denen zwei Personen miteinander polemisieren. Aus dem ersten Gespräch soll deutlich werden, in welch schlechtem Zustand die tschechische Sprache ist, und dass man dagegen etwas unternehmen müsse. Im zweiten Gespräch treten wiederum zwei, aber andere Personen auf der (positive) Slavomil (hinter dem Jungmann steht) und der negative Protivín (der Unausstehliche), der eine Art Advocatus Diaboli ist [laut Josef Kočí] bei der Behandlung der tschechischen Frage. Während der negative Protivín in der patriotischen Ideologie als Hauptkriterium das Verhältnis zum Land, bzw. Staat sieht, macht der positive Slavomil den Trennungsstrich zwischen Staat und Volk. Das Wichtigste, das Völker unterscheidet, ist nach Slavomil die Sprache. Sprache ist das gleiche wie Volk und Heimat. „Deshalb ist Böhmen“, laut Slavomil „ein Land von zwei Völkern: der Tschechen und der Deutschen: der Bojemi.“ Deshalb ist die Heimat der Tschechen keine sich historisch entwickelte Verwaltungseinheit (Königreich Böhmen), sondern ein Territorium, auf dem wo auch immer Tschechen leben: „Die Natur hat die Heimat nicht mit Festungen abgezäunt, oder mit einem sichtbaren Zaun umgeben – größer oder kleiner - wie viele Sprachen soviel Völker, und wie viele Völker soviel Male Heimat“. „Deshalb“ sei „die Heimat der Tschechen ,Cechia’ nur ein Teil ,Bohemie’“.

Die sprachliche Auffassung des Volkes ermöglichte es, im Unterschied zur territorialen, auch die „slawisch“ sprechenden Mährer, eventuell auch die Schlesier in ihren Kreis, also in den der Tschechen aufzunehmen. Wirft man einen Blick ins erste fünfbändige tschechisch-deutsche Wörterbuch von Jungmann, wird man vergeblich „böhmisch und Böhmen“ als selbständige Wörter suchen. Es gibt nur ein český = tschechisch, böhmisch und Čechy = Tschechien, Böhmen. Seit Jungmann ist in der tschechischen Sprache also tschechisch das gleiche wie böhmisch, und Tschechien das gleiche wie Böhmen!

Sudetendeutsche haben bis 1945 in Böhmen in der deutschen Schule gelernt: was die Dynastie, also den Staat, das Land betrifft, ist böhmisch, was die Sprache betrifft, ist tschechisch. Demzufolge war klar, dass wir alle, die wir in diesem Land, das Böhmen war, gelebt haben, Böhmen waren. Die einen haben tschechisch als Muttersprache gesprochen und waren Tschechen, die anderen haben Deutsch als Muttersprache gesprochen und waren Deutsche. Diese Ordnung (im wahrsten Sinne des Wortes) hat Jungmann vollkommen durcheinander gebracht. Die Tschechen aber haben schon seit Jungmann kein böhmisch und kein Böhmen gekannt und akzeptiert. Selbstverständlich ergaben sich große Diskrepanzen mit politischen Folgen. Die Tschechen behaupten, dass die deutschen Gebiete tschechisch sind – ja sie können es ja auch gar nicht anders ausdrücken, also müssen sie doch recht haben! Wir Deutschen sprechen von böhmischen Königen, die Tschechen aber von tschechischen, wir kennen den Ständeaufstand der böhmischen Herren, d. h. es waren sowohl Tschechen als auch Deutsche unter ihnen (wir kennen die Namen dieser Personen, es kann also nicht geschwindelt werden), im tschechischen Verständnis standen nur die Tschechen hinter dem Ständeaufstand. Das böhmische Glas wurde in der tschechischen Sprache zum tschechischen Glas. Deshalb haben die Tschechen auch Probleme damit, wie sie uns Sudetendeutschen nennen sollen: unsere Deutschen (wir sind nicht ihre Deutschen), die tschechischen Deutschen (das Eigenschaftswort ‚tschechisch’ trifft auf uns nicht zu), ja sogar die ‚deutschen Tschechen’ wird verwendet (das ist die absurdeste Version). Selbstverständlich hat dieses Denken zur Vertiefung des Nationalismus geführt, natürlich waren und sind sie auf all das stolz, was tschechisch war und ist, und das ist nach Jungmann alles.

Man kann z. B. bis heute als tschechischer Staatsbürger in der Tschechei, ob man nun deutscher Nationalität oder sonst was ist, nur den Vornamen für sein Kind wählen, der im tschechischen Vornamensverzeichnis angeführt ist, wünscht man aber einen anderen Namen, muss man einen Antrag an das Institut für tschechische Sprache stellen, eine Kommission entscheidet, ob man den Namen wählen kann, und wie der Namen zu schreiben ist. Konkret der Namen „Annette“ – nach dem Eingriff durch die Kommission entstand „Aneta“ – so steht es jetzt im tschechischen Namensverzeichnis. Dagegen gibt es keinen Einspruch.

Ein jeder Frauennamen, auch Ausländerinnen, erhält das „Schwänzchen“ – ová, also Frau Merkelová, Frau Steffi Grafová. Hat die Frau einen Doppelnamen – so steht das –ová zweimal da. Frau Merkel und Steffi Graf und alle Frauen der Welt können sich gegen diese Namensveränderung nicht einmal wehren – denn sie wissen es ja nicht! Aber lebt man als Deutscher oder anderer Nationalität in der Tschechei, musste und muss man mit dem tschechischen Namensschwänzchen bei Frauen und einem tschechisierten Vornamen leben.

Künstler der Vergangenheit, wie z. B. der bekannte Dombaumeister Peter Parler haben in der Tschechei einen tschechischen Namen: Petr Parléř, und man wird mit ihnen streiten, dass man schon in der Schule gelernt hat, dass der Dombaumeister Petr Paléř geheißen hat.

Während der kommunistischen Zeit gab es beim Übersetzen aus dem Tschechischen ins Deutsche ein Gebot: Namen in der Tschechoslowakei durften nicht ins Deutsche übersetzt werden. Es gab nur drei Begriffe, die deutsch erlaubt waren: Prag, Moldau, Wenzelsplatz. Hatte man in einem Text Namen bekannter Örtlichkeiten im Sudetengebiet oder Persönlichkeiten, musste man sie tschechisch verwenden, also z. B. Goethe reiste nach Karlovy Vary... oder Goethe verbrachte viele Jahre seinen Sommerurlaub in Mariánské Lázně und Karlovy Vary... oder Die Rožmberkové (gemeint sind die Rosenberger) in Südböhmen... oder Das Schloss Hluboká (gemeint ist das Schloss Frauenberg in Südböhmen) usw. Im Internet am 5. 12. 2009 unter dem Google Stichwort „Hohenfurth“ gelesen: Vyšší Brod (Wikipedia) ist eine Stadt im „okres Český Krumlov“. Der deutsche Leser erhält die Information: okres /Kreis/ und Český Krumlov (Krummau). In hundert Jahren wird kein Mensch mehr wissen, dass es ein Krummau und einen Peter Parler gab. Aber Tschechen haben kein Problem damit, deutsche Städte, die niemals tschechisch waren, tschechisch zu benennen, denn sie kennen vielfach den deutschen Namen gar nicht: Lipsko (Leipzig), Drážd’any (Dresden), Řezno (Regensburg), Cáchy (Aachen), Mnichov (München), Vídeň (Wien), Norimberk (Nürnberg), Linec (Linz), Postupim (Potsdam) usw.

Vor einigen Jahren verlief im tschechischen Fernsehen eine Umfrage, wer der Meinung der Bevölkerung nach der größte Tscheche aller Zeiten ist. Unter hundert Kandidaten gewann der deutsche Kaiser Karl IV., der Enkel des deutschen Kaisers Heinrich VII. - der größte Tscheche aller Zeiten! - und alle fanden es prima und in Ordnung. Karl IV. ein Tscheche!

Es ist so raffiniert einfach, dass man es nicht glauben kann. Es wird ein Streitgespräch geschrieben, einer der beiden Haupthelden, der Slavomil, argumentiert - das Land ist nicht mehr wichtig, die Sprache ist es, zu der wir gehören - gegenüber dem Unausstehlichen, dem Protivín, dem anderen Haupthelden, und siehe da Slavomil behält Recht - da ist von „Zäunen“ die Rede, die es nicht gibt, da ist von „größer“ und „kleiner“ die Rede, und da werden die Begriffe Völker, Heimat, Sprachen durcheinandergemixt und ungefähr zur gleichen Zeit gibt man ein Wörterbuch heraus, „vergißt“ einige Wörter aufzunehmen und alles ist „tschechisch“ – der größte politische Betrug der Tschechen, der aber in seiner Zeit wahrscheinlich gar nicht groß aufgefallen ist, denn man lebte ja in der Monarchie Österreich-Ungarn, wo das – tschechisch – statt böhmisch auf Landkarten und ähnlichen Dokumenten noch nicht auftauchte, was sich 1918 nach der Gründung der ČSR schlagartig änderte, und da kam das Jungmannsche Durcheinander den tschechischen Nationalisten erst recht entgegen. Im Internet kann man in einer Literaturgeschichte aus dem Jahr 1913 Folgendes lesen: „Bei den schwankenden Ausdrücken ,böhmisch´ und ,tschechisch´ haben wir uns trotz des offiziellen Gebrauchs in Österreich für den letzteren entschieden. Das um sich greifende Studium der Völkerkunde und das moderne nationale Bewusstsein drängt nicht nur in Böhmen, sondern auch in anderen Ländern (z. B. in Ungarn)“ - es gab also auch schon 1913 das Argument, nicht nur wir, auch die Ungarn - „die ältere Bezeichnung einer Nation nach der Landeszugehörigkeit immer mehr zurück“.

Dr. Jakubec bezeichnet böhmisch und tschechisch als „schwankende Ausdrücke“, wobei er sich trotz des offiziellen Gebrauchs in Österreich zu dem Ausdruck „tschechisch“ entscheidet. Nach der Gründung der ČSR gab es keinen „schwankenden Begriff“ mehr, sondern nur noch einen Begriff, nämlich „česky“, da hatte das „tschechisch“ das „böhmisch“ offiziell vollkommen verdrängt. Es ist das „um sich greifende Studium der Völkerkunde – eine Entwicklung“, die es auch woanders gibt, also nicht wir allein, sondern auch die anderen... was auch immer, sie übernehmen nicht gern Verantwortung für ihre Entscheidungen... Eine ähnliche Stütze für die tschechischen Absichten finden sich bei Dr. Jakubec noch an anderer Stelle, wo er von den Cechoslawen spricht – von den Tschechoslawen zu den Tschechoslowaken ist es für ein nicht tschechisches Ohr nur ein ganz kleiner Schritt.

Diese verbale Verdrehung, die zur Fälschung und zum Betrug wurde, fällt aber auch in unserer Zeit nicht groß auf, denn nur wer Tschechisch kann und die Verhältnisse in diesem Land kennt, wird darüber stolpern – den anderen bleibt diese (und viele andere) Täuschung mit weitreichenden Konsequenzen verborgen.

Verwendete Literatur:

Jakubec, Jan: Full text of Geschichte der cechischen Literatur. Prag, 1913 http://www.archive.org/stream/geschichtedercec00jakuuoft/geschichtedercec00jakuuoft_djvu.txt

Kočí, Josef: České národní obrození,. Praha, Svoboda 1978



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