Český a slovenský zahraniční časopis  
     
 

Říjen 2010


Prag stellt Bedingungen für Seehofer-Besuch

Hans-Jörg Schmidt

Harsche Töne: Horst Seehofer könne zu Hause bleiben, wenn er nur über die Dekrete reden wolle, warnt Tschechiens Premier.

Stanislaw Tillich hat – nicht nur als Sorbe, der des Tschechischen mächtig ist – eine besondere Zuneigung zu den tschechischen Nachbarn. Und so wird sich der sächsische Ministerpräsident freuen, wenn er nach einer Ankündigung des neuen tschechischen Premiers Petr Nečas Mitte September zu einem offiziellen Besuch nach Prag fahren kann.

Mindestens so gute wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen wie zu Sachsen hat Tschechien aber auch zum zweiten deutschen Nachbarn, den Bayern. Was das Bild trübt, ist das Eintreten der Bayern als Schirmherren der Sudetendeutschen für die Belange der aus der Nachkriegs-Tschechoslowakei kollektiv und massenhaft Vertriebenen.

Und so steht der seit Langem diskutierte Besuch Horst Seehofers – es wäre der erste eines bayerischen Ministerpräsidenten seit 20 Jahren an der Moldau – jetzt wieder auf der Kippe. Sollte Seehofer nur kommen wollen, um über die Benesch-Dekrete zu reden, „dann kann er sich den Weg sparen“, sagte Nečas am Donnerstag am Rande seines Antrittsbesuches in Berlin bei Bundeskanzlerin Angela Merkel. Seehofer habe im Übrigen noch gar keine Einladung, und ohne eine solche könne ein Besuch schlecht stattfinden. „So geht das in der Diplomatie“, fügte Nečas süffisant hinzu.

Merkel hielt sich wohlweislich mit einer Kommentierung zurück; in Berlin will man, ähnlich wie in Prag, nur nach vorn sehen, schließlich hatte man zuletzt genug Ärger mit dem selbst ernannten „EU-Dissidenten“ Václav Klaus. Berlin gefällt, dass die neue Prager Regierung bei der Krisenbewältigung am selben Strang zieht. Das soll offenbar nicht durch rückwärtsgewandte Debatten belastet werden.

In der tschechischen Presse war man sehr viel mutiger als die Kanzlerin. Der Grund liegt eineinhalb Autostunden südöstlich von Prag entfernt: im Dorf Dobronín (Dobrenz) bei Jihlava (Iglau), wo in dieser Woche die Gebeine mutmaßlich nach Kriegsende erschlagener und verscharrter Deutscher ausgegraben worden sind. Angesichts dessen, so schrieb die Wirtschaftszeitung „Hospodářské noviny“, erscheine die alte Argumentation auch der neuen tschechischen Regierung, immer nur nach vorn zu sehen, als „sehr unappetitliches Theater“, handle es sich doch um die „Opfer eines ethnischen Mordes, den unsere Leute begangen haben“. Nečas könne, wie seine Vorgänger, „tausend Mal die Unantastbarkeit der Benesch-Dekrete beschwören. Dem Grauen, das aus dem Grab aufsteigt, in dem außer den Toten auch unser schlechtes Gewissen verscharrt wurde, kann niemand von uns entfliehen.

Selbst das frühere kommunistische Zentralorgan „Právo“, das gewöhnlich zu den hartnäckigsten Verteidigern der Benesch-Dekrete gehört, empfahl Nečas, umzudenken: „Nečas sprach sich gegen eine Infragestellung der Dekrete aus. Es sei erforderlich, nach vorn zu sehen, sagte er. Manchmal, so würde ich hinzufügen, ist es aber auch notwendig, rückwärts zu sehen“, bemerkte ein Kommentator. Und er sprach zudem sich für die Aufhebung des Gesetzes aus dem Jahre 1946 aus, das alle Untaten gegen die Deutschen während und nach dem Krieg straffrei stellte. Das würde es ermöglichen, auch heute noch die des Genozid verdächtigen Tschechen strafrechtlich zu verfolgen.

Im Falle von Dobronín hätte das womöglich sogar praktische Auswirkungen: Einer der Mitwirkenden an der Bluttat von 1945 – obwohl hochbetagt und krank – lebt tatsächlich noch. Ihm könnte der Prozess gemacht werden. Ob das freilich politisch gewollt ist, darf nach den Berliner Äußerungen von Nečas bezweifelt werden.

Manche Tschechen sind weiter als ihre politischen Repräsentanten. In Dobronín beispielsweise haben tschechische Einwohner in unmittelbarer Nähe zu dem Massengrab ein schlichtes Kreuz errichtet. Ohne Aufforderung, ganz allein.

(Die Welt)



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