Český a slovenský zahraniční časopis  
     
 

Leden 2011


Tote demontieren einen Mythos

Wolf Oschlies

Neues Massengrab in Slowenien mit über 2000 Toten kratzt am Selbstbild der slowenischen Partisanen.

Slowenische Partisanen gedenken alle Jahre wieder ihrer toten Mitkämpfer: Einst wurden sie als Freiheitshelden verehrt, doch inzwischen wird ihre Rolle kritischer gesehen. Immer wieder werden in Slowenien Massengräber entdeckt, die meisten stammen aus der Zeit unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. 2009 kannte man 594, doch seither sind neue gefunden worden, zuletzt Anfang November an der Grenze zu Kroatien. Die Zeit, in der so etwas als „Rehabilitierung der Kollaboration“ galt, ist vorbei, die der Wahrheitsfindung beginnt.

Janez Stanovnik, seit 2003 Vorsitzender des Partisanenverbands Sloweniens, ist harte Interviewfragen gewöhnt, zum Beispiel ob slowenische Partisanenführer von 1944/45 gemeine Massenmörder wie serbische Freischärler in Srebrenica 1995 gewesen seien. Ähnliche Anklagen hörte auch General Ivan Dolnicar, Stanovniks Amtsvorgänger, wie überhaupt die 18 000 Verbandsmitglieder nach Ansicht von immer mehr Slowenen weniger Nationalhelden als eher feige Mörder waren.

Ein Geheimnis war das nie, aber bis 1990/91 ein Tabu. Erst mit der Unabhängigkeit Sloweniens sprach man offen, dokumentierte Untaten und legte Tatorte frei. Konservative Regierungen waren rigoroser, „linke“ wie die gegenwärtige unter dem Sozialdemokraten Borut Pahor sind zurückhaltender, aber alle erklären: Täter und Opfer damaliger Verbrechen waren fast zur Gänze Slowenen. Die volle Wahrheit ist das wohl noch nicht. Die Toten in den Massengräbern sind schwer zu identifizieren, doch es ist gesichert, dass in Slowenien bis 1945 eine deutsche Volksgruppe lebte (1931 zählte sie 29 000 Menschen), von denen viele nach dem Krieg gewaltsam ums Leben kamen. Auch an entwaffneten deutschen und russischen Soldaten wurden Grausamkeiten verübt. Immerhin hat diese Deutung die Slowenen von dem Fluch befreit, eigene Untaten so zu leugnen wie vordem Russen ihre Morde in Katyn – sagte Joze Dezman, Direktor des Instituts für neuere Geschichte Sloweniens und Motor neuerlicher Aufklärung.

Die begann 1994 als Aktion „Sprava“ (Aussöhnung), angeführt von Pavel Jamnik, dem stellvertretenden Chef der Kriminalpolizei. Sie schlief bald ein, wurde aber 2001 nach der Auffindung von Massengräbern in Windisch-Feistritz (Slovenska Bistrica) wiederbelebt. „Warum haben wir 56 Jahre nach Kriegsende noch immer unaufgeklärte Massengräber“, fauchte die mutige Wochenzeitung „Mladina“ (Jugend) und stellte die 16 größten Grabfelder vor, dazu die darauf liegenden Motocross-Parcours und Golfbahnen. Im November 2005 entstand die „Regierungskommission für verborgene Massengräber“, die bis zu ihrer Auflösung 2008 Joze Dezman leitete. Laut Mitja Ferenc, Historiker und Archivar der Kommission, hat sie 594 Tatorte geprüft, davon 80 verborgene Gräber entdeckt. Zwei riesige Gräber befinden sich in Thesen (Tezno) bei Marburg an der Drau (Maribor), sie bergen rund 15 000 Tote. Nach Schätzungen der slowenischen Kommission für Kriegsgräber aus dem Jahre 2007 waren vermutlich 80 Prozent davon kroatische Heimwehr- und Ustascha-Soldaten, so dass es sich um das größte kroatische Massengrab handelt. Das bislang letzte Grab mit vermutlich 2000 bis 3000 Toten wurde Anfang November in Mostec bei Rann (Brezice) nahe der Grenze zu Kroatien entdeckt und von Marko Strovs, im Arbeits- und Sozialministerium für Soldatengräber zuständig, untersucht. Joze Dezman vermutet unter den Opfern deutsche Soldaten und volksdeutsche Angehörige der Waffen-SS-Division „Prinz Eugen“, möglicherweise aber auch Volksdeutsche aus der Region.

Der von Hitler und Mussolini im April 1941 grundlos begonnene Krieg gegen Jugoslawien war kurz und nahezu unblutig, der nachfolgende Partisanenkampf dauerte fünf Jahre und kostete die Deutschen und Italiener zusammen etwa knapp 32 000 Tote und Vermisste, die Verluste unter den Partisanen und der einheimischen Zivilbevölkerung waren wegen brutaler „Sühne-Aktionen“ um ein Vielfaches höher. Eher symbolischer Partisanenführer war Tito, denn in Ermangelung effizienter Befehls- und Berichtsstränge kämpften die verschiedenen nationalen Kontingente meist autonom, am effektivsten die slowenischen Partisanen.

Anfang Mai 1945 kapitulierte die deutsche Heeresgruppe E unter General Alexander Löhr vor den slowenischen Partisanen und marschierte nach Kärnten. Bei ihr waren insgesamt 220 000 kroatische Ustascha-Angehörige, russische Kosaken und slowenische „Heimwehr“-Angehörige, also Kombattanten, die aber dennoch laut alliierten Abmachungen von 1943 nicht als Kriegsgefangene behandelt wurden, sondern als mutmaßliche Kriegsverbrecher, die in ihren Heimatländern zu verurteilen seien. Das galt vermutlich auch für Teile der Waffen-SS-Division „Prinz Eugen“, die überwiegend aus zwangsrekrutierten Volksdeutschen und Balkankämpfern in deutschen Uniformen bestand. Mindestens 2000 ihrer zuletzt 23 000 Soldaten werden im Massengrab von Rann (Brezice) vermutet.

Im Mai 1945 folgte auf das Kriegsende oft das Chaos. In Österreich kam es zu Konflikten zwischen Russen und Briten, uniformierte Flüchtlinge und slowenische Partisanen wurden aus Kärnten ausgewiesen. Die empfanden das als bittere Niederlage, zumal sie bis zum 12. Juni auch das strittige Triest räumen mussten. Viel schlimmer war die Abschiebung jedoch für Angehörige der deutschfreundlichen slowenischen Heimwehren (Domobranzen), sie kam einem Todesurteil gleich. Die Kriegs- und Nachkriegsverluste der deutschen Zivilbevölkerung in Jugoslawien sind inzwischen gut erforscht. Sie betrugen nach neuen Untersuchungen 91464, fast die Hälfte davon starb in Lagern, aber überwiegend nicht in Slowenien.

Joze Dezman kennt keine exakten Zahlen, geht aber von insgesamt über 100 000 Ermordeten in Slowenien im Mai/Juni 1945 aus, davon über 14 500 namentlich bekannte Slowenen, außerdem Kroaten, Serben, Montenegriner und Deutsche. Mehr Licht ins Dunkel möchte Pavel Jamnik bringen, aber ihm fehlen Dokumente und Zeugen. Jetzt hofft er, in Belgrader Archiven fündig zu werden. Eine Konsequenz aus den erschreckenden Grabfunden haben auch die Partisanen, die einstigen Nationalhelden, gezogen. Sie benannten sich 2007 in „Kämpfer für die Werte des Befreiungskampfs“ um.

(www.ostpreussen.de/zeitung)



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