Český a slovenský zahraniční časopis  
     
 

Červenec 2011


Projev Libora Roučka na Panevropských dnech v Lindau 21. května 2011

Libor Rouček

Místopředseda Evropského parlamentu Libor Rouček vystoupil jako slavnostní řečník na Panevropských dnech v bavorském Lindau na téma „Silní v době krize: Panevropa“.

Sehr geehrte Exzellenzen, verehrter Herr Präsident,

Sehr geehrte Ehrengäste, liebe Paneuropäerinnen und Paneuropäer,

Meine Damen und Herren,

ich danke Ihnen für die Einladung und die Gelegenheit, heute vor Ihnen über aktuelle politische Herausforderungen für Integrationsprojekt Europa zu sprechen.

Gestatten Sie mir, dass ich mit ein bisschen Geschichte anfange. Dieser Kontinent hat eine verheerende Geschichte hinter sich: gleich zwei schreckliche Kriege im 20. Jahrhundert, sowie darauf folgende Bevölkerungstransfers und wilde Vertreibungen. Ich weiß, dass unter Ihnen viele Sudetendeutsche sind. Was kann ich dazu sagen? Ich will mich als Tscheche für die Vertreibungen entschuldigen. Weder der Krieg, noch Vertreibung, gehören in das Konzept des Rechtsstaats und der Demokratie. Wir haben alle einen schrecklichen Preis bezahlt. Die Franzosen, die Deutschen und auch die Sudetendeutschen… Die Sudetendeutschen haben ihre Heimat verloren. Die Tschechen, Ungarn, Polen und andere haben damals die Freiheit verloren. Wir sind also alle betroffen – durch den Krieg und auch durch die Vertreibung. Was können wir damit tun? Wir können das Leben den Opfern des Krieges und der Vertreibung nicht zurückgeben. Wir können das Leiden kaum mildern. Aber was wir tun können und sollen ist es, eine Lehre aus der Geschichte zu ziehen. Und das tun wir auch im Europäischen Parlament. Wir versuchen ein neues Europa auf ganz bestimmten Grundwerten aufzubauen. Diese Grundwerte sind klar definiert: es sind die Menschenrechte, die Demokratie und der Rechtsstaat.

Trotz dieser schmerzhaften Ereignisse ist in Westeuropa nach dem zweiten Weltkrieg eine Region so erfolgreich aufgebaut worden, dass man nirgends sonst auf der Welt einen Vergleich findet. Das Projekt der Europäischen Integration verdankt seine Entstehung auch einer Reihe von kühnen Staatsmännern und Persönlichkeiten, die es gewagt haben, nach vorne mit Hoffnung zu schauen und dem Nationalismus von gestern ihren Rücken zu zeigen. Zwischen den Staaten, die der EU angehören, ist es seit 1945 zu keinem bewaffneten Konflikt mehr gekommen. Dies ist angesichts der grausamen Geschichte dieses Erdteils alles andere als normal! Einen speziellen Dank verdient in diesem Zusammenhang auch die Paneuropa Union, die sich jahrzehntelang für das friedliche und partnerschaftliche Zusammenleben in Europa engagiert. Also nochmals: vielen Dank für Ihre Arbeit!

Die künstliche Teilung Europas während des kalten Krieges hat es den MOE-Völkern leider unmöglich gemacht, an dem Einigungswerk von Anfang an beteiligt zu sein. Trotzdem war es für viele junge Menschen in der damaligen Tschechoslowakei, in Ungarn, Polen und auch Ostdeutschland ein Traum und ein Ziel, einmal zu gleichberechtigten Bürgern des freien Gesamteuropas zu werden. Für dieses Ziel habe ich mich während der Periode meines politischen Exils immer eingesetzt. Es war mir stets klar, dass die Versöhnung und Verständigung unter den Völkern Europas auch über den Eisernen Vorhang hinweg stattfinden muss. Nicht zuletzt aus diesem Grunde habe ich für meine Doktorarbeit das Thema der deutsch-tschechischen Beziehungen gewählt.

Nach der Wende von 1989 durfte langsam auch der östliche Teil des Kontinents in die gemeinsame europäische Perspektive eingebunden werden. Seit 2004 kann endlich auch mein Land – die Tschechische Republik – von den Früchten der europäischen Einigung profitieren. Ganz nüchtern kann man die Osterweiterung als einen großen Erfolg von uns allen bezeichnen. Wir reden immer wieder von Krisen und Problemen, aber wenn man sich die Folgen der Erweiterung von 2004 anschaut, ist es tatsächlich eine klare Erfolgsgeschichte.

Die EU hat den Alltag von Menschen auf den beiden Seiten des einst geteilten Europas eindeutig zum Besseren verändert. Es ist ein Wunder – zumindest für mich als jemanden, der sich noch an den eisernen Vorhang erinnert. Wenn wir die deutsch-tschechische Grenze überqueren, gibt es dort heute keine Grenzkontrolle mehr und so sollte es auch bleiben!

Doch mit der Überwindung der Teilung Europas kam kein Ende der Geschichte. Europa steht heutzutage vor globalen Herausforderungen, die sowohl mit Risiken als auch Chancen verbunden sind. Für die wichtigsten Herausforderungen halte ich die demografische Entwicklung, den globalen wirtschaftlichen Wettbewerb, sowie die sicherheitspolitischen Risiken, die mit den Entwicklungen in Nordafrika und im Nahen Osten verbunden sind. Die Krise ist stets dazu da, damit wir aus ihr lernen und damit wir aus der Krise stärker hervorkommen. Das gesamte Projekt der europäischen Einigung ist ein gutes Beispiel dafür, wie produktiv Krisen sein können. Zum Beispiel, während der Krise der Euro-Zone hat sich ein Wille herauskristallisiert, künftig in der Wirtschaftspolitik stärker als bisher zusammenzuarbeiten. Es ist klar, dass die wirtschaftlichen Bedingungen in den unterschiedlichen Mitgliedstaaten der Euro-Zone nie deckungsgleich sein werden. Aber trotzdem sind engere Absprachen und Koordinierung sinnvoll. Im Bereich der Wirtschafts- und Haushaltspolitik, aber es ist auch wichtig, über die Sozialpolitik zu sprechen. Und es ist ebenfalls klar, dass die weitere wirtschaftliche Blüte Europas, die wir alle wollen, nicht zuletzt von maßvollen Haushaltspolitiken abhängt.

Europa ermöglicht nicht zuletzt dank ihrem erfolgreichen Wirtschafts- und Sozialmodell auch den benachteiligten Bevölkerungsgruppen eine gute Lebensqualität. Schon deswegen dürfen wir den Abbau der sozialen Marktwirtschaft nicht zulassen. Egal, ob wir aus dem christdemokratischen oder sozialdemokratischen Lager kommen. Die soziale Marktwirtschaft gehört zu unseren gemeinsamen Werten in Europa. Klar ist jedoch auch, dass wir unsere Sozialsysteme so reformieren müssen, dass unsere hohen Lebensstandards auch künftig möglich bleiben. Die soziale Marktwirtschaft sollte auch weiterhin dafür die Grundlage darstellen.

Der demographische Wandel ist eine große Herausforderung. Zur Illustration: im Jahre 1900 machte der Anteil der Europäer an der gesamten Weltbevölkerung 20% aus. Im Jahre 2000 waren es nur 8 % und im Jahre 2050 wird dieser Anteil nur bei 5 bis 6 % liegen. Selbst diese Zahlen machen es anschaulich, wie notwendig eine engere Zusammenarbeit und tiefere Integration in der EU sind.

Eine ähnliche Aussage lässt sich auch auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik machen. Nehmen wir das Beispiel des krisenbelegten Kontinents Afrika: vor 30 Jahren lebten auf diesem Kontinent 500 Mio. Menschen. Heutzutage ist es 1 Mrd. und in 30 Jahren werden es schon 2 Mrd. Einwohnern sein. Diese Zahlen zeigen deutlich, dass wir ohne gemeinsames Handeln kaum eine Chance haben, unsere außen- und sicherheitspolitischen Interessen durchzusetzen. Sei es die gemeinsame EU-Entwicklungspolitik oder die Sicherung der EU-Außengrenze. In diesem Zusammenhang lassen Sie mich meine feste persönliche Überzeugung ausdrücken, dass eine Wiederherstellung der inneren Grenzen im Schengener Raum einen Schritt zurück bedeutet. Es hat überhaupt keinen Sinn, die dänisch-deutsche Grenze wieder herzustellen! Die einzige richtige Lösung der illegalen Einwanderung stellt eine effizientere Kontrolle unserer gemeinsamen Außengrenze dar.

Gerade die letzten Turbulenzen in unserer arabischen Nachbarschaft haben gezeigt, wie wichtig es ist, dass die EU-Außen-und Sicherheitspolitik überzeugender wird. Die Schaffung des Postens einer europäischen Außenministerin ist hierfür ein wichtiger aber noch kein ausreichender Schritt. Viele Kommentatoren sind geneigt, unter dem Eindruck der letzten Monate, über die EU-Außenpolitik voreilige Urteile zu fällen. Man muss Geduld haben! Es ist hier ein Prozess im Gange: Ein neues institutionelles Gefüge, das sich Schritt für Schritt erst etablieren muss.

Europa sollte in der Lage sein, sich in der Weltpolitik zu behaupten. Mächtige Akteure auf der weltpolitischen Bühne respektieren nämlich nur Stärke und Geschlossenheit.

Meine Damen und Herren, Außenpolitik dient ja immer der Durchsetzung von Interessen. Es gibt allerdings auch andere Wege, wie man eigene Vorstellungen wirksam durchsetzen kann. Wir sind allzu oft mit uns selbst beschäftigt, um zu merken, dass das Ergebnis auch von außen eindrucksvoll ist. Europa ist der wohlhabendeste unter allen Kontinenten. Es ist mit Abstand das am meisten bewunderte Vorbild für einen Zusammenschluss souveräner Staaten, der gleichwohl ihre nationale Identität nicht gefährdet. Bei meinen Reisen als Außenpolitiker habe ich oft beobachten können, wie sehr uns die Menschen in Lateinamerika, Afrika oder auch Südostasien um unseren Erfolg beneiden. Wir sollten darauf stolz sein, was wir in den letzten Jahrzehnten auf dem europäischen Kontinent gebaut haben.

Die EU ist dafür in der internationalen Arena bekannt und anerkannt, dass sie Regeln festschreibt, die dann schrittweise und vor allem ganz freiwillig von anderen als geltende Standards akzeptiert werden. Im Unterschied zu den Angelegenheiten der Realpolitik geht es hier um die sogenannte soft power Europas. Wir Europäer haben ein tolles Potenzial, zu einem Agenda-Setter zu werden. Vor allem in Sachen der nachhaltigen Entwicklung sollten wir eine Vorreiterrolle spielen. Klimawandel, steigende Rohstoffpreise und Energiesicherheit sind nur ein paar Stichworte zu diesem Thema.

Vor kurzem haben wir 61 Jahre seit Beginn des wahrscheinlich ehrgeizigsten politischen Projektes in der europäischen Geschichte gefeiert. Der Rückblick auf diese erfolgreiche Geschichte lässt den dynamischen Charakter der EU hervortreten. Heute steckt Europa in der Krise. Und auch heutzutage ist es wünschenswert, dieser Moment für einen qualitativen Sprung nach vorne zu nutzen.

Der Einigungsprozess ist noch lange nicht zu Ende – weder qualitativ noch quantitativ. Weder im Sinne der EU-Vertiefung noch deren Erweiterung. Als Repräsentant eines relativ neuen EU-Mitgliedsstaates möchte ich ausdrücklich vor der Erweiterungsmüdigkeit warnen. Die EU hat eine moralische Pflicht, den Balkan-Ländern nach der Erfüllung von Beitrittskriterien eine vollwertige Mitgliedschaft in der EU zu garantieren, weil es die beste Möglichkeit ist, Sicherheit, Frieden und Stabilität zu gewährleisten. Es ist auch im eigenen Interesse der EU. Eines Tages wird hoffentlich nicht nur Kroatien, Serbien oder Mazedonien (dessen Präsident heute hier mit uns anwesend ist) dem EU-Familienkreis angehören, sondern auch die Schweiz und Liechtenstein die nur einen Katzensprung entfernt von unserem Tagungsort liegen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit folgender Überlegung meinen Beitrag schließen.

Es gibt rationale Gründe, auf die aktuellen Herausforderungen mit mehr und nicht mit weniger Europa zu antworten. Ich bin persönlich davon überzeugt, dass ein föderales System einen geeigneten Rahmen für eine effiziente und demokratische Verwaltung der EU darstellt. In einer föderalen EU, die die Vielfalt und Identität der europäischen Völker respektiert, lässt sich auch die steigende Welle des populistischen Nationalismus bewältigen.

In fast jedem EU-Land finden wir solche gefährliche Strömungen, die gegen das Integrationsprojekt auftreten. So auch in meinem Land. Dort hört man sogar vom Staatsoberhaupt antieuropäische Parolen. Unser Präsident wird bald seinen 70. Geburtstag feiern. Er erinnert sich doch noch an die Folgen des Krieges und an die sowjetische Besatzung! Daher verwundert es, dass er gegen die EU-Integration auftritt. Ich würde mir einen Nachfolger in seinem Amt wünschen, der zu Europa steht und sich zur EU-Integration bekennt. Ich wünsche mir auch, dass mein Land der Eurozone beitritt und zum aktiven Mitglied der EU-Gemeinschaft wird.

Ich war immer ein Optimist. Als ich im Jahre 1977 ins österreichische Exil gegangen war und den Leute zu Hause gesagt habe, dass ich zurückkommen werde und dass der Kommunismus und die Okupation nicht auf Ewigkeit sein werden. Manche Leute haben sich damals auf den Kopf geklopft und mich für einen Narr gehalten. Um 12,5 Jahre später kam die Befreiung der MOE-Völker und mein Traum von der Zusammenarbeit zwischen den Europäern ging in Erfüllung. Die EU ist die Garantie dafür, dass sich der Krieg und die Vertreibung nie wiederholen werden.

Ich danke Ihnen herzlich für die Einladung und für Ihre Aufmerksamkeit!

(http://www.liborroucek.cz/?page=projev&prid=6)



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