Český a slovenský zahraniční časopis  
     
 

Srpen 2011


Karlsbad ist fest in russischer Hand

Hans-Jörg Schmidt

Kyrillisch, soweit das Auge reicht: Russische Gäste haben den Kurort Karlsbad in Tschechien für sich entdeckt. Und viele kommen, um zu bleiben.

Die Bedienung des Cafés im Sprudel-Haus, wo die stärkste der zwölf Karlsbader Quellen bis zu 15 Meter in die Höhe schießt, ist platt: Haben sich doch auf den Stühlen draußen zu vormittäglicher Stunde zwei Tschechisch sprechende Gäste niedergelassen. Für die Kellnerin kommt das einem kleinen Wunder gleich: „Tschechische Gäste haben wir hier nicht so häufig. Sie werden heute vermutlich die einzigen hier sein.“ Gewöhnlich säßen hier nur Russen – „die neuen Herren unserer Stadt“, wie die brünette junge Frau leicht frustriert sagt. Und dann empfiehlt sie die Spezialität ihres Hauses, einen Kaffee, zubereitet aus dem 72 Grad heißem Sprudel und dem Kräuterlikör Becherovka. Die Mischung ist gewöhnungsbedürftig. „Den russischen Gästen schmeckt das aber besonders gut“, erklärt die Kellnerin wie entschuldigend.

Beim Spaziergang durch die gepflegten Kuranlagen entlang der Teplá bis hin zum mondänen Hotel „Pupp“ wird deutlich, wie sehr sich Karlsbad verändert hat. Egal, was die Geschäfte anzubieten haben, fast überall erscheint das Angebot auch auf Russisch. Kyrillisch, soweit das Auge reicht. Ein Juwelier berichtet, etwa 90 Prozent seiner Kunden kämen aus Russland. „Darauf mussten wir uns natürlich einstellen. Mein Personal spricht perfekt Russisch, sonst könnten wir kein Geschäft machen.“ In dem feinen Laden duftet es nach schwerem russischen Parfüm, das sich auch nicht zu verflüchtigen scheint, wenn den ganzen Tag die Ladentür offen steht.

Deutsche Gäste bilden nur noch einen verschwindend geringen Anteil. Ob sich Goethe hier noch wohl fühlen würde, der Karlsbad 13 Mal besuchte und liebte, lässt sich nicht erahnen. „Es gibt nur drei Städte auf der Welt, wo ich leben möchte: In Weimar, in Karlsbad und in Rom“, hatte der Geheimrat einst Wilhelm von Humboldt anvertraut.

Die Russen sind freilich keine neue Erscheinung in der Kurstadt. Für den russischen Adel war Karlsbad eine beliebte Sommerfrische. Zweimal hielt sich Zar Peter der Große in der Stadt auf. Später, Jahre nachdem die deutsche Bevölkerung Karlsbads vertrieben worden war, zog es hohe kommunistische Funktionäre aus Moskau nach Karlsbad. Im Mai 1968 trank der sowjetische Ministerpräsident Alexej Kossygin das heilende Wasser aus der Schnabeltasse und verschaffte sich einen Eindruck von den politischen Umgestaltungen des Prager Frühlings. Und bis heute gehen die Gerüchte, dass er seinerzeit hier auch Gespräche mit Leuten des orthodoxen Flügels der tschechoslowakischen „Bruderpartei“ führte, die gegen die Reformer um Alexander Dubček opponierten. Im August 1968, als die Panzer einrückten, war es dann vorbei mit der Reform-Herrlichkeit.

Gerade hat man in Tschechien des 20. Jahrestages des Abzugs der Sowjets gedacht, die nach 1968 angeblich nur „zeitweilig“ bleiben wollten. Im heutigen Karlsbad ist der Jahrestag kein Thema gewesen. „Weshalb sollten wir unsere wichtigsten Gäste vergraulen?“, heißt es aus der Stadtverwaltung. Und nicht nur die Gäste, müsste man hinzufügen. Ganze Häuserzeilen gehören heute reichen Russen, die hier auch leben. Es gibt Immobilienkanzleien in der Nähe des Kurparks, wo Russisch so etwas wie die Amtssprache ist. Dass die Stadtverwaltung darüber nicht gern spricht, hat Gründe. In keiner zweiten tschechischen Stadt gab es so viele Korruptionsfälle und Immobilienskandale wie gerade hier. Andererseits haben die Russen auch reichlich Geld und lassen die Häuser schmuck restaurieren. Da nimmt dann auch kaum ein Einheimischer mehr Anstoß daran, dass aus Lautsprechern in Gartenrestaurants russische Estradenmusik aus den Lautsprechern dröhnt, die über Tischen montiert wurden, auf denen russische Fähnchen statt Blumen in kitschigen Vasen stehen.

Dafür machte sich jetzt ein berühmter tschechischer Talkmaster im Fernsehen über die Russen lustig. Angeblich kämen sie so gern nach Karlsbad, weil es da sogar ein Lenin-Denkmal gebe. In Wahrheit handelt es sich nicht um Lenin, sondern um den tschechoslowakischen Staatsgründer Tomáš G. Masaryk. Dem Schöpfer der Statue ist Masaryk aber tatsächlich ein bisschen in Richtung Lenin verrutscht. Um künftighin Irrtümer auszuschließen, so der Talkmaster scherzhaft, wolle die Stadt jetzt am Sockel des Denkmals den Namenszug Masaryks anbringen.

Unweit vom Grandhotel „Pupp“ lockt gegen Mittag eine junge Frau Hungrige in ein Nobel-Restaurant mit Fischspezialitäten. Ganz selbstverständlich spricht sie alle Leute auf Russisch an. Eine Tschechin findet das nicht lustig und zischt wütend zurück, dass man sich hier in der Tschechischen Republik befinde, nicht in Russland. Die Restaurantangestellte quittiert es mit einem mitleidigen Lächeln.

(Die Welt)



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