Český a slovenský zahraniční časopis  
     
 

Srpen 2011


Kaisersohn, Abgeordneter und glühender Europäer

Reinhard Olt

Er war nicht nur der älteste Sohn des letzten Kaisers von Österreich und Ungarn - sondern vor allem mit Leib und Seele Europa-Parlamentarier: Otto von Habsburg ist mit 98 Jahren gestorben.

Europa kannte er wie kaum ein anderer - aus persönlicher wie aus politischer Erfahrung. Aufgrund seiner Familiengeschichte und eines wechselvollen Schicksals hatte Seine Kaiserliche Hoheit Erzherzog Otto von Habsburg - so der ihm nach alter Art zustehende Titel - in der Schweiz, in Portugal, Spanien, den Vereinigten Staaten, in Belgien, Frankreich und Deutschland gelebt. Als Präsident der Paneuropa-Union bereiste der älteste Sohn des letzten Kaisers von Österreich und Königs von Ungarn unermüdlich die Staaten Mittel- und Osteuropas. Dass viele von ihnen heute der EU angehören oder auf dem Wege dorthin sind, betrachtete Otto von Habsburg als Krönung seines Lebenswerks. Einschneidende Erlebnisse im 98 Jahre währenden Leben waren die Begegnung mit Richard von Coudenhove-Kalergi, die Flucht vor Hitler und - nach dem Zweiten Weltkrieg - sein Ringen um die Rückkehr nach Österreich sowie sein Wirken im Europaparlament. Den „Anschluss“ Österreichs 1938 nannte er „das schmerzlichste“, den Zusammenbruch des Kommunismus, vor allem in Ungarn, „das schönste Ereignis“ seines politischen Lebens. 1989 hatte er die weltpolitische Wende vorangetrieben. Er war der Erfinder und Schirmherr des Europapicknicks in Sopron, das Hunderten von DDR-Flüchtlingen die Flucht ermöglichte. In der Folge war er als Kandidat für das Amt des ungarischen Staatspräsidenten im Gespräch.

Habsburg, belgischer, österreichischer und deutscher Staatsbürger, war mit Leib und Seele Europa-Parlamentarier. 20 Jahre lang focht der spätere Alterspräsident im Straßburger Parlament. Abgeordnete jeder Couleur zollten dem Christlich-Konservativen mit der eisernen Disziplin und der großen Diskutierfreude - auch und erst recht mit politischen Gegnern - letztlich Respekt; sein Einzug ins Europaparlament 1979 war nicht allseits goutiert worden; der Kaisersohn verfocht noch im Kalten Krieg unablässig die Einigung Europas als großes Ziel.

Am 20. November 1912 wurde er in Reichenau an der Rax als Sohn des damaligen Erzherzogs Karl und seiner Frau Zita von Bourbon-Parma geboren. Infolge der Todesschüsse von Sarajevo 1914 wurde Ottos Vater Thronfolger und übernahm nach dem Tode Kaiser Franz Josefs 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, die Herrschaft über die im Zerfall begriffene Doppelmonarchie. Am 11. November 1918 unterzeichnete der letzte österreichische Kaiser Karl I. eine Verzichtserklärung, die er später widerrief. Einen Tag später wurde die Republik Österreich ausgerufen.

Die Donaumonarchie brach auseinander. Ottos Kindheitserinnerungen waren geprägt vom Ersten Weltkrieg und den Jahren im Exil. 1921 fand die kaiserliche Familie Zuflucht auf Madeira. Als Karl I. dort 1922 starb, hinterließ er die 30 Jahre alte Witwe Zita mit sieben Kindern. In Spanien wurde der junge Otto in Ungarisch, Tschechisch und Deutsch unterrichtet, lernte kroatische Gebete. Sein Abitur legte er nach österreichischem und ungarischem Lehrplan ab. An der Universität Löwen in Belgien studierte er Politik- und Sozialwissenschaften und wurde 1935 promoviert.

Eine Rückkehr nach Österreich war ihm wegen der in Verfassungsrang stehenden Habsburger-Gesetze zunächst verwehrt; mit diesen waren am 3. April 1919 alle Herrscherrechte des Hauses Habsburg aufgehoben, alle Adelstitel verboten und alle habsburgischen Familienangehörigen, die nicht auf ihre Vorrechte verzichteten, des Landes verwiesen worden. Zwar hob der Ständestaat 1935 die Habsburger-Gesetze auf, doch nach einem Geheimtreffen mit Kanzler Kurt von Schuschnigg in der Schweiz verzichtete Otto auf die Rückkehr nach Österreich, da Hitler diese als „Casus belli“ betrachtet hätte. Das Verlangen des Habsburgers vom Frühjahr 1938, Schuschnigg solle eine Annäherung an die Westmächte sowie den Ausgleich mit den Sozialdemokraten anstreben und ihm, Otto, angesichts des Drucks Hitlers die Kanzlerschaft übertragen, blieb unerfüllt. Der Einmarsch der Wehrmacht am 11. März 1938 in Österreich trug den Codenamen „Otto“. Die Nazis verfügten die abermalige Enteignung und Landesverweisung aller Habsburger. Gegen den Chef des Hauses Habsburg wurde Haftbefehl wegen Hochverrats erlassen, da Otto in Frankreich zum Widerstand gegen den Anschluss aufrief. Die Kriegsjahre verbrachte er in den Vereinigten Staaten. Er gewann das Vertrauen von Präsident Franklin D. Roosevelt und setzte sich für ein eigenständiges Nachkriegsösterreich ein.

Dort wurden nach dem Zweiten Weltkrieg die Habsburger-Gesetze wieder in Kraft gesetzt. Österreichischen Boden betrat Otto erstmals in Tirol 1945 - nur für wenige Stunden. Zwar gab er 1961 die verlangte Verzichtserklärung ab, doch im großkoalitionären Ministerrat kam über sein Begehren, nach Österreich zurückzukehren, keine Einigung zustande; der Verfassungsgerichtshof erklärte sich für unzuständig. Erst im Sommer 1966 erhielt Otto von Habsburg einen österreichischen Reisepass. Doch dauerte es bis zum 50-Jahr-Jubiläum der Paneuropa-Union 1972, bis es in Wien zum „historischen Handschlag“ zwischen ihm und dem sozialistischen Bundeskanzler Kreisky kam.

1978 hatte der seit 1954 mit seiner Frau, der Prinzessin Regina von Sachsen-Meiningen, sowie zwei Söhnen und fünf Töchtern in Bayern Lebende auch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Er wurde Mitglied der CSU und deren Abgeordneter in Straßburg. Fast 40 Bücher und unzählige Auszeichnungen zeugen vom Schaffen des europäischen Denkers, republikanischen Volksvertreters und Ehrenpräsidenten der Paneuropa-Union. Otto von Habsburg ist am 4. Juli im Alter von 98 Jahren gestorben.

(FAZ))



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